Germanicus – Rächer des Varus?

10.10.2023 Josef Mühlenbrock

Thusnelda im Triumphzug des Germanicus, Carl Theodor von Piloty

Im jungen Alter von nur 33 Jahren starb Germanicus, der damals wohl beliebteste General des Reiches, im Jahr 19 n. Chr. in Antiochia am Orontes im heutigen Antakya in der Türkei unter rätselhaften Umständen. Germanicus war Neffe und Adoptivsohn des Kaisers Tiberius (Regierungszeit 14-37 n. Chr.) und fest als dessen Nachfolger vorgesehen.

Das Vermächtnis des Vaters

Seinen Ehrennamen Germanicus erhielt er nicht aufgrund eigener Leistungen, sondern erbte ihn von seinem leiblichen Vater Drusus, welcher selbst als Feldherr große Erfolge in Germanien erreicht und das Gebiet bis zur Elbe erschlossen hatte. Nach Drusus‘ Feldzügen begann allmählich der Prozess der Provinzialisierung im rechtsrheinischen Germanien. Zeugen dessen sind der Ausbau des Standlagers von Haltern und die römische Zivilsiedlung von Waldgirmes im Lahntal. Doch nach der verheerenden Niederlage in der Varusschlacht 9 n. Chr. waren die Römer gezwungen sich vorübergehend an den Rhein zurückzuziehen und die neu eroberten Gebiete aufzugeben. Überlebende der Legionen und Zivilisten flüchteten von dem Schlachtfeld entlang der Lippe ins Legionslager Vetera bei Xanten. Germanicus suchte die Vergeltung und wollte an die Erfolge seines Vaters anknüpfen, sein Vermächtnis bewahren und den Status Quo ante bellum wiederherstellen.

Wechselndes Kriegsglück

Im Jahre 13 n. Chr. übernahm Germanicus den Oberbefehl von Tiberius und begann mit der Planung seiner Offensive. Im Jahre 14 hatte er die vier Legionen des niedergermanischen Heeresbezirks im Sommerlager (vermutlich Neuss) zusammengezogen als ihn die Nachricht einer Meuterei der Legionen in Pannonien erreichte. Die Revolte weitete sich schnell auf Niedergermanien aus. Die Soldaten forderten neben Lohnerhöhung und Verkürzung des Wehrdienstes ebenfalls, dass sich Germanicus sich gegen seinen Adoptivvater Tiberius erheben solle, um die Kaiserwürde zu übernehmen. Durch Auszahlungen von Prämien und geschickte Diplomatie gelang es Germanicus die Lage unter Kontrolle zu bringen und den Aufstand zu beenden. Seine Ziele hat er dabei aber nicht aus den Augen verloren: Vergeltung für die Varusschlacht und die Wierherstellung Kontrolle Roms über das Gebiet bis zur Elbe. Die groß angelegte Offensive begann im Jahr 15 n. Chr.

Für die Invasion wurde eine gewaltige Armee von acht Legionen zusammengezogen, mindestens 40.000 Männer und Gefolge. Germanicus operierte von Mainz (Mogontiacum) aus und führte einen Feldzug gegen die Chatten an, welcher in der Zerstörung ihres Hauptortes Mattium resultierte. Kurz darauf erreichte Germanicus ein Hilferuf des römerfreundlichen Cheruskerfürsten Segestes, welcher von Arminius, dem Sieger der Varusschlacht, in seinem befestigten Stammsitz belagert wurde. Germanicus sprengte die Belagerung, bei welcher ihm die Tochter des Segestes, Thusnelda in die Hände fiel. Diese war gleichzeitig die Frau des Arminius und von ihm schwanger. Die Römer erreichten noch im selben Jahr den Ort der Varusschlacht und begannen die Überreste der Gefallenen zu bestatten. Doch das Jahr 15 brachte insgesamt nicht den erhofften Erfolg mit sich. Im Frühjahr des Jahres 16 erreichte ihn die Nachricht von der Belagerung eines Lippekastells namens Aliso, bei welchem es sich um Haltern handeln könnte. Es gelang das Lager von den Angreifern zu befreien. Obwohl das römische Heer den germanischen Verbänden zwei Niederlagen beifügen konnte, waren diese nicht schwer genug um die vollständige Vernichtung des Gegners oder die strategische Kontrolle des Gebietes erreichen zu können. Für Kaiser Tiberius waren die enormen Verluste der Feldzüge die potentiellen Gebietsgewinne in Germanien nicht wert, er berief deshalb Germanicus ab und lies ihn seine Offensive noch im Jahr 16 einstellen.

Eine zweifelhafte Bilanz

Die Erfolge, welche Germanicus zu verzeichnen hatte, hielten sich in Grenzen.  Es gelang, die Gefallenen der Varusschlacht zu bestatten und zwei der drei erbeuteten Legionsadler zurückzugewinnen. Die Frau des Arminius war nun in römischer Gewalt und wurde ins Exil nach Ravenna geschickt. Zwei größere Schlachten konnten gewonnen werden, als man bis über die Weser vorstieß, jedoch konnte das Gebiet bis an die Elbe nicht unter Kontrolle gebracht werden. Auch der große Widersacher Arminius konnte nicht gefangengenommen oder getötet werden, er fiel einer Verschwörung seines eigenen Stammes zum Opfer. Dabei waren die Verluste immens. Althistoriker schätzen, dass etwa 20.000 römische Soldaten in den drei Jahren fielen, eine ähnliche Größenordnung wie einige Jahre zuvor in der Varusschlacht.

Sieg? Eine Frage der Deutungshoheit

Trotz alldem wurde Germanicus im Jahre 17 ein Triumphzug gewährt, bei welchem auch Thusnelda den Massen präsentiert wurde und er bekleidete sein zweites Konsulat. Die Propaganda des Kaiserhauses feierte die Rückgewinnung der Legionsadler als großen Sieg und Erfolg und schmückte Germanicus mit dem damit verbundenen Prestige. Eine andere Darstellung der Ereignisse wäre dem zukünftigen Kaiser unangemessen und potentiell gefährlich gewesen. Denn für die Legitimierung der kaiserlichen Herrschaft war es entscheidend, dem Volk Siege zu präsentieren. Der Rächer des Varus war Germanicus angesichts der Bilanz seiner Feldzüge sicher nicht, was ihn aber nicht davon abhielt, sich als solcher zu inszenieren.

Lange nicht das Ende der Römer in Germanien

Anders als es vielleicht den Anschein hat, gab Rom seine Ambitionen auf die rechtsrheinischen Gebiete noch lange nach den Feldzügen nicht auf. Das kontrollierte Gebiet wurde im Gegensatz zu dem Rest des Reiches nicht als Provinz, sondern in zwei Heeresbezirken verwaltet (exercitus Germania inferior, exercitus Germania superior). Erst in der Regierungszeit des Kaisers Domitian gegen Ende des ersten Jahrhunderts wurden die beiden Provinzen Germania superior und Germania inferior mit den Hauptorten Mainz (Mogontiacum) und Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium) eingerichtet.

Prominente Rezeption

Historische Sujets hatten im 19. Jahrhundert Hochkonjunktur. Von Piloty zeigt in einem berühmten Historiengemälde den Moment des Triumphzuges des Germanicus. Thusnelda und der Sohn des Arminius stehen hier als strahlende Gestalten im Zentrum der Komposition, während die Römer, grimmig und gewalttätig anmutend in den Schatten verborgen bleiben.

Das Gemälde ist im Kontext des deutschen Nationalismus zu betrachten und feiert drei Jahre nach der Reichsgründung den verklärenden Mythos des Nationalhelden Arminius und seiner tapferen Frau Thusnelda.

 

 

 

J. Krüßmann